Die Hansestadt Lübeck hat lange mit Königsberg und Tallin um die Urheberschaft gestritten. Recht hat keiner – aber einen Ruf hat sich Lübeck erarbeitet.
Wer hat es erfunden? Das wollen Schulklassen wissen.
Beim Stichwort Marzipan denken wohl fast alle Schülerinnen und Schüler an Lübeck: Fünf Unternehmen widmen sich dort und im benachbarten Stockelsdorf der Herstellung des Naschwerks, das der Lübecker Thomas Mann einst als „üppige Magenbelastung“ beschrieb.
Marzipan ist Geschmacksache – auch auf Klassenfahrt
Doch für jede Schulklasse gibt es auf ihrer Klassenfahrt einiges zu entdecken, denn nicht nur das eigentliche Endprodukt ist von Interesse. Auch die Geschichte, die Produktion, sowie die lange Tradition sind hochinteressant. Um das Jahr 1900 gab es in Lübeck noch 29 Marzipanfabrikanten. Das „Markusbrot“ (lateinisch: Marci panis) wird an vielen Orten fabriziert. Doch „Lübecker Marzipan“ darf es sich seit 1982 nur noch nennen, wenn es aus Lübeck und Umgebung stammt.
Der älteste noch existierende Hersteller ist die 1806 gegründete Traditionsfirma Niederegger. Doch auch die Firma Erasmi & Carstens blickt auf eine rund 150-jährige Geschichte zurück. Charlotte Erasmi, Witwe eines Lübecker Weinhändlers, gründete 1845 eine Fabrik zur Produktion von Obst- und Gemüsekonserven. Außerhalb der Erntezeiten verlegte sie sich, wie viele andere Unternehmen der Branche auf die Herstellung von Süßwaren. Um das Jahr 1900 konzentriere sich Erasmi schließlich auf die, stark expandierende industrielle Herstellung von Marzipan. Laut Unternehmenssprecher Leo Möllerherm ist Erasmi & Carstens heute der führende Anbieter im Massenbereich. Die Produkte gibt es auch in Discount-Lebensmittelgeschäften.
Auf Wunsch mit Knoblauch
1530 wurde die Süßigkeit erstmals in einer Zunftordnung der Hansestadt erwähnt, um 1800 soll es in Lübeck rund 135 Hersteller gegeben haben. Der großen Lübecker Marzipantradition fühlen sich alle Lübecker Hersteller verpflichtet. Die meisten von ihnen verzichten nach eigenen Angaben darauf, der Rohmasse bei der Verarbeitung weiteren Zucker zuzusetzen. Sie gehen damit über die Qualitätsanforderungen an „Lübecker Edelmarzipan“ hinaus. So darf sich das Endprodukt laut Gesetz nennen, wenn der Rohmasse höchstens zehn Prozent Zucker zugefügt wurden. „Wer kein Marzipan mag, der hat vermutlich schlechte Erfahrungen mit sehr süßem Marzipan gemacht“, sagt Möllerherm.
Auch in einer Praline aus Süd-Deutschland kann Marzipan aus Lübeck stecken. Die 1904 gegründete Lübecker Marzipan-Fabrik von Minden & Bruhns in Stockelsdorf bei Lübeck beliefert Konditoren und Süßwarenhersteller in 40 Ländern der Erde mit Marzipanrohmasse in verschiedenen Qualitätsstufen. Auch Bio-Marzipanrohmasse ohne Lecithin und Aromazusätze hat das Unternehmen im Angebot.
Auf den Bio-Trend setzt auch Lothar Mest. Im Sortiment seines in den 1950er-Jahren gegründeten Unternehmens gibt es Marzipan mit Zutaten aus kontrolliert biologischem Anbau, aber auch Knob-lauchmarzipan für experimentierfreudige Kunden. Mest ist einer von zwei Unternehmern, die es nach 1945 mit den alteingesessenen Herstellern aufgenommen haben.
Marketing fürs Exportgut
Erfunden wurde das Marzipan nicht in Lübeck. Auch nicht in Tallin (früher Reval) oder Königsberg, obwohl auch diese Städte manchmal die Urheberschaft für sich reklamieren. Tatsächlich kommt die Leckerei aus dem Orient. Doch die Lübecker haben schon früh geschicktes Marketing für ihr Exportgut Marzipan betrieben. Den Rest erledigte dann die Teilung Europas nach 1945. Dieser interessante Fakt bietet die Möglichkeit den Schülerinnen und Schülern eine praktische Veranschaulichung zu gleich mehreren Schulfächern zu geben.
Sei es zur Wirtschaft durch den internationalen Handel mit der begehrten Marzipan-Rohmasse oder zur Geschichte der Entstehung. Oder zur Geographie, indem erklärt werden kann, wie die Industrielle Produktion und der Handel die Städte und deren Bewohner über die Zeit beeinflussten.
In den 1945er Jahren gründete auch der aus Königsberg stammende Günther Leu eine neue Konditorei, um in Lübeck die Königsberger Marzipantradition fortzusetzen. Sein Sohn Burkhard hat das Unternehmen 1981 übernommen. Er berichtet, die Zutaten seien die gleichen. Aber das Königsberger Marzipan werde „geflammt, also an der Oberfläche leicht angeröstet“. Dadurch komme das Mandelaroma etwas stärker zum Tragen.
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