Es war zu befürchten, dass eine Greisin auf die Bühne tippeln würde. Schritt für Schritt am Stock. Vielleicht auch noch von Helfern gestützt. Es hätte auch passieren können, dass der Vorhang aufginge und sie da schon sitzt. So macht man das im Showgeschäft. So wird auch SchülerInnen gut verheimlicht, wie viel Mühe dem gebrechlich gewordenen Star im Alter das Gehen bereitet.
Die Rocksängerin Tina Turner ist im November 2018 stolze 78 alt. Sie hat in jüngster Zeit viel durchlitten. Eigentlich reicht es für mehrere Menschenleben. So ein Leben wünscht man keiner Schülerin und keinem Schüler. Selbstverständlich auch keiner Lehrerin und keinem Lehrer. Im Juli erst brachte sich ihr Sohn um. In den vergangenen fünf Jahren hatte sie nicht nur einen Schlaganfall. Auch Darmkrebs machte Tina Turner zu schaffen. Außerdem hing sie auch noch an der Dialyse. Ihr Mann ist der deutsche Musikmanager Erwin Bach. Er spendete ihr eine Niere. Woher man das alles weiß? Weil es in ihrer Autobiografie steht. Diese ist im November 2018 erschienen. Zwei Journalistinnen der „Zeit“ interviewten Tina Turner in ihrer Villa bei Zürich. Da hatte sie sich gerade bei einem Sturz das Becken gebrochen, gleich doppelt.
Musical „Tina“ auf der Hamburger Reeperbahn
Im Mojo Club auf der Hamburger Reeperbahn bewirbt sie das Musical „Tina“. Es ist ein Musical über ihr eigenes Leben. Schüler:innen können Tina Turners Schicksalsschläge hier kaum erahnen. Mit federndem Gang betritt sie die Bühne. Turner wippt im Takt der Musik. Sie trägt eine Art Hausanzug. Dieser ist aus dunklem Samt. Dazu trägt sie Schnürstiefel und eine der gemäßigteren ihrer berühmten Perücken. Sie verbeugt sich. Sie strahlt. Entweder geht es ihr tatsächlich besser oder sie ist halt eine begnadete Schauspielerin und Zähne zusammenbeißerin.
Glücklich zu wirken, ohne es zu sein, hat sie sich früh antrainiert. Auf der Bühne vor den SchülerInnen und anderem Publikum lächeln. Dabei war es egal, was backstage vorgefallen war. Lächeln, auch wenn Ike Turner sie mal wieder geschlagen und missbraucht hatte. Ihr erster Ehemann. Ihr Entdecker. Tina Turner wurde als Anna Mae Bullock in Nutbush in Tennessee geboren. Ike Turner machte aus Anna Tina Turner. 1976 verließ sie ihn. Das war nach 14 Jahren Beziehung.
Die ältesten Tricks des Unterhaltungsgewerbes
Der Abend in Hamburg wird zu Turners Ich-bin-noch-am-Leben-Auftritt. Was für eine Wahnsinnsdramaturgie: Erst mit den Memoiren die gesundheitliche Tragödie der vergangenen Jahre öffentlich machen – um dann mit der Musical-PR die Auferstehung zelebrieren.
Turner bedient sich der ältesten Tricks des Unterhaltungsgewerbes. Und sie wirken. Trick eins: Sie schmeichelt den Hamburgern damit, wie beeindruckt sie von ihrer Stadt sei. 2009 habe sie das letzte Mal in Hamburg auf der Bühne gestanden, erzählt Turner. Es war ihre Abschiedstournee. Vielleicht war sogar eine:r der Lehrer:innen damals anwesend. Damals habe sie von der Stadt nur das Hotel Kempinski mitbekommen. „Heute habe ich den Hafen gesehen, die großen Schiffe. Ich habe zu meinem Mann gesagt: Die machen mir Angst.“ Trick zwei: mit dem eigenen Alter kokettieren. „Nächstes Jahre werde ich 80.“ Anerkennendes „Oooaaah“ aus dem Publikum, Applaus.
Nicht alle Rocklegenden altern gleich gut. Mick Jagger spielt mit 75 noch den jungen Wilden und wirkt dabei nicht peinlich. Phil Collins wiederum kann nicht einmal mehr die Trommelstöcke halten. Im ZDF lief neulich eine ’68er-Show. Thomas Gottschalk erinnerte hier an die Popmusik dieser Zeit. Soweit sie es noch auf die Bühne schafften, waren die Stars von einst dabei. Der Barde Donovan („Atlantis“) sieht inzwischen aus wie die Großmutter von Rainer Langhans. Die Stimme von Folksängerin Melanie („Ruby Tuesday“) klingt ziemlich verbeult, aber sie sang mit herzerwärmender Inbrunst. Schüler:innen auf Schulreise dürften diese Legenden eher aus dem Musikunterricht oder durch ihre Eltern kennen.
Wir singen zusammen – oder auch nicht
Tina Turner singt am Dienstagabend in Hamburg nicht. Sie täuscht es nur an. Neben ihr auf der Bühne steht die 29-jährige Kristina Love. Ab März wird sie im hiesigen Operettenhaus Tina Turner sein. In London läuft das Musical „Tina“ schon seit einem halben Jahr. Die Produktion von Stage Entertainment kommt nun auch in die Stadt, die sich als „deutsche Musical-Hauptstadt“ sieht.
„Wir singen zusammen“, sagt die echte Tina Turner zu der falschen. Dabei streckt sie die Zunge raus, als habe sie einen Streich im Sinn. Die Band spielt die ersten Töne von „Proud Mary“, ihrem Hit von 1970. Turner stützt die linke Hand in die Hüfte. Sie schwenkt den rechten Arm und schnippt mit den Fingern. Kurz vor ihrem Einsatz verlässt sie die Szenerie und setzt sich ins Publikum. Die Bühne gehört nun ihrer Darstellerin.
Die beiden haben das alles am Nachmittag geprobt. Die Königin macht Platz für die Nachfolgerin, das soll die Geste bedeuten. Man weiß nicht genau, wen die fehlende Gesangseinlage mehr schützen soll. Schützt sie Tina Turner selbst vor Kritikern? Kritiker, die Veränderungen ihrer Stimme im Vergleich zu früher bemängeln würden. Oder schützt sie Kristina Love davor, direkt mit Turner verglichen zu werden?
Störer in der Elbphilharmonie – Touristen verärgern Musikliebhaber
«Ein groteskes Szenario»: In Hamburg geben Touristen zu reden, die sich bei Konzerten nicht zu benehmen wissen. Mittwochabend in der Elbphilharmonie in Hamburg. Der große Saal ist ausverkauft – wie fast immer. Ein Jazzkonzert steht auf dem Programm.
Der Zürcher Pianist Nik Bärtsch spielt mit seiner Band, nach der Pause tritt sein Kollege Vijay Iyer auf. Diese Musik trifft offenbar nicht jeden Geschmack.
Geräusche des Publikums gut hörbar
In Scharen verlassen die Leute den Saal. Am Ende ist mehr als die Hälfte der Plätze leer.
Das stört nicht nur die Musiker auf der Bühne, sondern auch die anderen Konzertbesucher. Denn die gute Akustik in der Elbphilharmonie macht auch die Geräusche des Publikums gut hörbar. Und durch die Bauweise ist für alle sichtbar, wer den Saal verlässt.
Reise nach Hamburg, Konzertbesuch inklusive
«Ein groteskes Szenario», schreiben Hamburger Medien. Und eines, das sich regelmäßig in der Elbphilharmonie abspielt. Mitunter warten draußen bereits Busse auf die flüchtenden Saaltouristen.
Es sind oft Pauschalreisende. Sie haben neben Stadtführung und Hafenrundfahrt auch ein Konzert in der Elbphilharmonie im Paket gebucht. Viele wussten vorher nicht, welche Musik sie erwartet. Bei der Organisation einer Klassenfahrt sollte das natürlich nicht passieren.
Beschädigt dieses Problem den guten Ruf der Elbphilharmonie? Nein, meint Intendant Christoph Lieben-Seutter: «Das Phänomen ist ja nicht neu. Es gibt Häuser wie das Opernhaus in Sidney oder die Staatsoper in Wien, wo jeden Abend hunderte Touristen in den Sälen sind.»
Das vielfältige Programm als Krux
Diese Häuser aber bieten Konzerte an, die ausschließlich für Tourist:innen, aber auch Schulkassen konzipiert sind. Anders die Elbphilharmonie, so Lieben-Seutter: «Unser Programm ist vielfältiger.»
Es gebe auch elektrische Musik, Jazz, World oder Pop. «Wenn man sich vorher nicht damit auseinandersetzt, was an diesem Abend angesetzt ist, kann es zu Überraschungen kommen.» Lehrer:innen und andere Organisator:innen sollten deswegen genau überlegen. Was interessiert die Schüler:innen? Was passt zum Lehrplan und dem Motto der Klassenreise?
Benimmregeln per Mail
Handlungsbedarf sieht der Intendant keinen. Schon jetzt halte die Elbphilharmonie für ihre Gäste eine Art Verhaltenskodex bereit. Wer Tickets kauft, erhält vor der Veranstaltung nochmals eine Mail.
«Da ist auch ein Hinweis drin, wie man sich im Konzert optimal verhält – wie das so ist mit dem Klatschen und mit dem Räuspern», so Lieben-Seutter. Da stehe auch drin, dass man den Saal am besten zwischen den Stücken verlässt.
Offenbar erreicht dieser Verhaltenskodex die flüchtenden Pauschaltouristen nicht. Ganz unschuldig an der Situation ist die Elbphilharmonie freilich nicht. Denn das Haus braucht – des Geldes wegen – viele Besucherinnen und Besucher.
Dass jedoch aus rein finanziellen Gründen große Kartenkontingente an Reiseunternehmen abgegeben werden, verneint Christoph Lieben-Seutter: «Nicht mal fünf Prozent der Tickets gehen weiter an Reiseveranstalter.»
«Das richtige Konzert für das richtige Publikum»
Offenbar verteilen sich die Kartenkontingente für Reiseveranstalter aber ungleichmäßig auf die Konzertangebote. So kann es mitunter sein wie in jenem Jazzkonzert: Fast der halbe Saal ist mit Pauschalreisenden besetzt. Diese verlassen dann noch während des Konzerts den Saal.
Was also tun? «Die Hauptmaßnahme ist, das richtige Konzert dem richtigen Publikum anzubieten», erklärt Lieben-Seutter.
So biete man bestimmte Konzerte nur für Reiseveranstalter an: «Da spielt ein gutes lokales Orchester. Das Programm ist schöne gute Klassik. Die Qualität ist gut – aber es besteht nicht die Gefahr, dass man etwas erlebt, mit dem man überhaupt nicht gerechnet hat.»
Keine Veränderung in Sicht
Bislang finden jährlich nur zwölf solcher Extrakonzerte statt. Die Saaltouristen werden also auch weiterhin die normalen Konzerte mit ihren anspruchsvollen Programmen besuchen – und womöglich wieder geräuschvoll verlassen.
Alternativ bietet die Elbphilharmonie auch Konzerte für Schüler:innen an. Schülerinnen und Schüler entdecken hier Orchesterkonzerte passend zu ihrer Altersklasse. Die Schulkonzerte richten sich an SchülerInnen der Klassen eins bis 13 und ihre Lehrer:innen.
Wer der Musik in Ruhe lauschen will, muss wohl auf traditionellere Konzertorte ausweichen. Denn ein Ende des Besucheransturms auf die Elbphilharmonie ist nicht in Sicht.
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